Seite:Leo Originalität 08.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Schulmeister Homer, Sophokles und Menander übersetzte. Um aus ihren Balladen und Ernteschwänken ein eigenes Epos und Drama herauszuschaffen, hätten die Römer eben die Griechen sein müssen.

Das Entscheidende ist dieses: es gab nur eine litterarische Kultur, nur eine Litteratur, die griechische; sie war die Litteratur. Jedes andere Barbarenvolk hätte sich begnügt, die Originale, von wandernden Truppen gespielt, auf der Bühne zu sehn; ein anderes Volk mit so starkem Bildungsdrange wie das römische hätte sich wenigstens in seinen oberen Schichten hellenisirt. Die Römer, die doch, soweit ihre Geschichte zurückreicht, den Kultureinfluss der italischen Griechen und der halb hellenisirten Etrusker erfahren hatten, erfanden statt dessen die Kunst des Uebersetzens, eine neue Kunst, durch die sie die griechische Litteratur für ihr Volksthum eroberten. Es war eine ganz populäre Bewegung, und, mehr als das, keine specifisch römische, sondern eine italische Bewegung. Vornehme Römer schrieben damals in der That römische Geschichte in griechischer Sprache; den italischen Plebejer erhob eine neue Art nationalen Selbstgefühls, und in der Stadt, die einen italischen Staat geschmiedet hatte, dichtete er im Dialekt des herrschenden Stammes, indem er sich mit Stolz poeta barbarus nannte.

Die ersten Generationen sind erfüllt von einem Wellengange auf- und niedergehenden Strebens, einmal den italischen Vers gegen die andringenden griechischen Formen zu vertheidigen, die Thaten des eigenen Volks in Epos und Tragödie, das eigene Volksleben in der Komödie vorzuführen; dann wieder, dem griechischen Vorbilde so nahe wie möglich zu kommen. Diese zweite Tendenz musste um so stärker werden, je mehr sich durch den beständig steigenden Verkehr in Krieg und Handel, durch den wachsenden Zufluss gebildeter Griechen die Einwirkung der griechischen Kultur verstärkte. Es war dem römischen Geiste nicht beschieden, seine Bahn allein zu wandern. Als die römische Litteratur ein Jahrhundert gedauert hatte, besass sie ein nationales Epos in Hexametern und eine ganze Bibliothek von attischen Komödien und Tragödien in lateinischen Bearbeitungen von sehr verschiedener Individualität, von durchgehender Vollendung der Verstechnik und Sprachbehandlung.

Für uns vertreten diese Periode vornehmlich Plautus und Terenz, jener ein Zeitgenosse des älteren, dieser des jüngeren Scipio Africanus. Wenn wir nach ihrer Originalität fragen, so gibt es keinen besseren Maasstab der Vergleichung als die Lustspiele

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Leo: Die Originalität der römischen Litteratur. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1904, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leo_Originalit%C3%A4t_08.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)